„Wir haben euch nicht nach Griechenland eingeladen“

Das Sicherheitspersonal des Camps von Katsikas verbrennt kleine Ladengeschäfte. Menschen im Camp sind auf diese Läden angewiesen. 

Refugee Shop in Camp Katsikas
Das Foto zeigt einen Molkerei-Laden in Camp Kastikas, der im Jahr 2019 zerstört wurde (fotografiert von Rob Blakes). Die derzeit betroffenen Ladenbesitzer:innen ziehen es aktuell vor, anonym zu bleiben.

Berichten des „International Rescue Committees“ zu Folge, leidet etwa ein Drittel der Bevölkerung in griechischen Flüchtlingslagern seit Ende des Jahres 2021 Hunger. Die monatliche finanzielle Unterstützung (die seit September 2021 der Kontrolle der rechtsgerichteten, griechischen Regierung unterliegt) wurde in den letzten drei Monaten des Jahres 2021 nicht ausgezahlt. Seit Januar 2022 nimmt die Regierung die monatlichen Zahlungen wieder vor, überweist allerdings nur 50% der eigentlichen Beträge an die Menschen.

Am 4. und 5. März 2022, wurden insgesamt 14 selbstgebaute Läden im Flüchtlingslager von Katsikas abgerissen. Die Maßnahme wurde von der Leitung des Camps – das offiziell als „Katsikas Willkommens-Zentrum“ bezeichnet wird – angeordnet und vom dortigen Sicherheitspersonal durchgeführt. Das Material, aus dem die Läden bestanden, wurde verbrannt. Bei den kleinen Geschäften handelte es sich um fünf Kiosk-Supermärkte, einen Kaffeeladen, vier Bäckereien (von denen zwei freistehend und zwei aus einem Wohncontainer heraus betrieben wurden), einen Friseursalon, einen Kebab-Laden, eine Elektrowerkstatt und eine Fahrradwerkstatt. Die Maßnahme folgte einer Warnung der Lagerleitung, der zu Folge alle Geschäfte, die am 7. März noch stünden, zerstört würden. Warum der Abriss der Läden zwei Tage früher durchgeführt wurde als angekündigt, ist unklar. Mehrere Ladenbesitzer, die von den Bränden am 4. und 5. März nicht betroffen waren, wurden aufgefordert, ihre Läden bis zu einer gesetzten Frist zu schließen. 

Ladenbesitzer:innen, die den Abriss ihrer kleinen Geschäfte tatenlos miterleben mussten, stehen nun vor der Frage, was sie mit ihren verbleibenden Beständen unternehmen sollen. Geschäfte aus ihren Containern heraus zu betreiben ist ihnen verboten. Der folgende Artikel erklärt, welche Fragen sich angesichts der Zerstörung noch auftun und warum diese Maßnahme gerade jetzt eine erhebliche Bedrohung für Asylsuchende darstellt.

Behörden reagieren mit Verachtung auf die Betroffenen

Bewohner:innen des Lagers berichteten, dass die griechischen Sicherheitskräfte Fotos und Videos voneinander machten, während sie die hölzernen Ladenkonstruktionen verbrannten. An die Menschen des Camps gewandt stellten sie zudem klar: „Wir haben euch nicht hierher eingeladen“ (eine Aussage, die in ihrer Kurzsichtigkeit fast ironisch erscheint, wenn man bedenkt, dass die Sicherheitskräfte inmitten der griechischen Arbeitslosigkeitskrise nur deshalb ein Einkommen haben, weil es Geflüchtete im Land gibt). 

Seit mit dem Bau der hohen Betonmauern um das Camp herum begonnen wurde, sei die Zahl der Sicherheitskräfte dramatisch gestiegen, so viele Campbewohner:innen. Die Sicherheitskräfte kontrollieren nun nicht nur die Ein- und Ausgänge und machen es Bewohner:innen und Gästen schwer, das Lager zu verlassen und zu betreten; sie patrouillieren neuerdings auch durch die Reihen der Wohncontainer.

Angesichts der Zerstörung ihrer Geschäfte und des mangelnden Respekts von Seiten des Wachpersonals wandten sich viele Menschen am 5. März mit Beschwerden an die Lagerleitung. Die Antwort der Verantwortlichen fiel jedoch ebenso verächtlich aus wie die des Sicherheitspersonals: „Wir haben euch nicht nach Griechenland eingeladen. Die Tür ist offen – wenn ihr ein Problem habt, könnt ihr ja gehen.“ Diese Aussage ist nicht nur ein metaphorischer Schlag ins Gesicht der  Betroffenen, sie ist auch sachlich falsch: Während eines laufenden Asylverfahrens dürfen die Landesgrenzen nicht überschritten werden. 

 

Zerstörung der Läden bedroht Existenz in mehrfacher Hinsicht 

Die Läden sind nicht nur kleine aber wichtige Einkommensquellen für die Familien der Ladenbesitzer:innen in einer Zeit, in der ihre monatlichen Zuwendungen um 50 % und mehr gekürzt wurden; die Läden stellen auch eine Versorgungsader für viele Bewohner:innen des Lagers dar. Die Preise für Lebensmittel und notwendige Güter sind hier oft deutlich niedriger als in den Geschäften der Stadt und der Umgebung. Innerhalb der „Wirtschaftsstrukturen“ des Lagers kommt es nicht selten vor, dass Personen, die nicht bezahlen können, die Waren umsonst erhalten. Die auf Vertrauen basierenden Abmachungen sehen vor,  dass Beträge beglichen werden, sobald die Betroffenen dazu in der Lage sind. Die Geschäfte im Lager bieten den Menschen also nicht nur einen erschwinglicheren Zugang zu lebenswichtigen Gütern, sondern  auch ein System, das es finanziell schwachen Personen ermöglicht, in aussichtslosen Momenten auf der Grundlage von Vertrauen und Solidarität zu überleben.

Der erschwerte Zugang zu Geschäften in der Stadt stellt eine zusätzliche Hürde für einen Großteil der Menschen im Camp dar. Der kostenlose Bus, der früher zweimal täglich zu den Krankenhäusern und in die Innenstadt fuhr, wurde eingestellt. Die Innenstadt von Ioannina ist jedoch der einzige Ort, an dem günstigere Lebensmittel und Güter verfügbar wären. Angesichts der teuren, öffentlichen Verkehrsmittel werden die 7 Kilometer, die Stadt und Lager voneinander trennen, für viele zu einem unüberbrückbaren Hindernis. Die Lagerleitung hat eine finanzielle Unterstützung für die Nutzung des öffentlichen Transports auch jetzt, nach Zerstörung der lagerinternen Läden, abgelehnt. 

Die Ladenbesitzer:innen wurden darüber informiert, dass sie ihre Geschäfte nur mit einer Vertriebsgenehmigung weiterführen dürften. Die damit verbundenen Kosten machen es den Betroffenen allerdings unmöglich, diese Vertriebsgenehmigung zu beantragen. In einem Land, das für seine Steuerhinterziehung und seine Korruption berüchtigt ist, ist dieses Ausmaß an Heuchelei geradezu peinlich.

 

Das aktuelle, politische Narrativ – Menschen vernachlässigt und nicht als „echte“ Flüchtlinge betrachtet

Es ist nicht das erste Mal, dass Strukturen zerstört wurden, die von Menschen mit beeindruckendem Optimismus und geballter Willenskraft angesichts widrigster Umstände aufgebaut worden waren. Zweimal wurden Gärten und Geschäfte der Campbewohner:innen innerhalb der letzten sechs Jahre zerstört. In einem Kontext, in dem die Menschen gezwungen sind, in Lagern zu leben; in dem aktuell Mauern um sie herum gebaut werden; und in dem ihre monatliche finanzielle Unterstützung eingestellt oder um die Hälfte gekürzt wird, kommen diese Maßnahmen einer drastischen Misshandlung gleich.

Die oben beschriebenen Maßnahmen gegen die Menschen und ihre Würde ereigneten sich nur wenige Tage nach einer Erklärung des griechischen Migrationsministers Mitarakis, in der er sich zu „echten Flüchtlingen“ aus der Ukraine im Gegensatz zu Menschen aus anderen Herkunftsländern äußerte. 

Wir verurteilen nicht nur dieses Narrativ und die Zerstörung der Ladenstrukturen im Camp von Katsikas an sich, sondern auch die abscheuliche Haltung und die Fremdenfeindlichkeit, die sie repräsentieren. Wir verurteilen die Demütigung und Missachtung von Menschen, die als Flüchtlinge nach Griechenland gekommen sind. Wir fordern die Europäische Union auf, sich mit dem Hunger in den griechischen Flüchtlingslagern und der Kürzung der monatlichen Zuwendungen zu befassen, Erklärungen über den Verbleib der übrigen Gelder zu verlangen, die den Menschen im Asylverfahren rechtmäßig zustehen, und die Vernachlässigung zu verurteilen und zu beseitigen, die Tausenden von Menschen in einem Mitgliedsstaat der Union widerfährt.

 

 

 

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