Menschenrechte sind unverhandelbar – Soup and Socks‘ Beitrag zur Seebrücke-Petition

Der nachfolgende Text stellt Soup and Socks‘ Beitrag zu einem Event der Seebrücke im Rahmen ihrer Petition „Unverhandelbar“ dar. 

 

Im August 2016 hat unser Verein Soup and Socks e.V. die offene Werkstatt Habibi.Works in Ioannina, Griechenland ins Leben gerufen. Das Ziel des Projekts ist die Unterstützung von Menschen, die nach ihrer Flucht an den Außengrenzen Europas angekommen sind.

Wir fordern: Menschenrechte sind unverhandelbar und müssen bedingungslos für alle gelten!

Soup and Socks wurde mit der Überzeugung ins Leben gerufen, dass Landesgrenzen keine Grenzen für die Suche nach Schutz und würdigen Lebensbedingungen sein dürfen – mit der Überzeugung, dass Menschenrechte bedingungslos für alle gelten, unabhängig von Nationalität, Ethnie,  Herkunft, Religion oder Geschlecht. Soup and Socks wurde also gegründet mit der Überzeugung, dass Menschenrechte unverhandelbar sind. Menschenrechte dürfen nicht an den Außengrenzen Europas Halt machen. Menschenrechte dürfen nicht nur für Privilegierte gelten, sondern müssen für absolut alle gelten.

Wir klagen an: Stoppt das menschen-gemachte Leid an Europas Außengrenzen!

Illegale Pushbacks verletzen nicht nur Menschenrechte sondern setzen Menschenleben aufs Spiel!

Die desolate Situation an Europas Außengrenzen ist ein menschengemachtes, künstlich erzeugtes und damit vermeidbares Leiden. Fluchtursachen und Fluchtwege werden kriminalisiert. Im Mittelmeer setzt Europa die Leben schutzsuchender Menschen aufs Spiel und nimmt deren Tod in Kauf. Und nicht nur das: Berichte und Beweise über eine zunehmende Anzahl illegaler Pushbacks durch die griechische Küstenwache häufen sich. Illegale Pushbacks sind völkerrechtswidrige Zurückdrängungen schutzbedürftiger, asylsuchender Menschen auf das offene Meer – meist in behelfsmäßigen, nicht seetauglichen Booten.

Im Zeitraum von Anfang März 2020 bis Ende März 2021 wurden laut Berichten von Nichtregierungsorganisationen 10.890 illegale Pushbacks von griechischer Seite vorgenommen und nur 4554 Personen schafften es, bis auf die griechischen Inseln zu gelangen und sich dort als Asylsuchende zu registrieren. Das heißt, die Zahl der illegal zurückgedrängten Menschen ist doppelt so hoch wie die Zahl derer, die es trotz widriger Umstände schaffen, Zugang zum Asylsystem in Griechenland zu erlangen. Diese menschenfeindliche Abschottungspolitik kostet Leben. Im Zeitraum von 1993 bis heute sind 44.000 Personen bei der Überquerung der Europäischen Grenzen gestorben – und die Dunkelziffer derer, deren Körper nie gefunden wurden, ist um ein Vielfaches höher. Schaffen es die Menschen dennoch auf die griechischen Inseln, werden sie in sog. Camps unter absolut inakzeptablen Bedingungen gebracht, wie auf Lesvos oder Samos.

Zustände in den Camps verschlimmern sich zu Zeiten von Covid-19

Auch auf dem griechischen Festland sind asylsuchende Menschen in Camps widrigen und unwürdigen Bedingungen ausgesetzt, die ihre mentale und körperliche Gesundheit gefährden. Die offenen Werkstätten Habibi.Works befinden sich in unmittelbarer Nähe zu einem sog. Camp in Katsikas, nahe Ioannina in Nordwest-Griechenland. Bis zu acht Personen müssen sich hier die Container teilen, die in dem Camp weit abseits der Stadt aufgestellt wurden. Zugang zum Bildungssystem besteht in den meisten Fällen nicht, auch kein Zugang zu psychosozialer Betreuung oder zum Arbeitsmarkt. Es fehlt an jeglichen integrativen Maßnahmen und an langfristigen oder selbstbestimmten Perspektiven. Für die Menschen bedeutet diese Politik Monate und Jahre des Wartens in gezwungener Untätigkeit.

Gerade in Zeiten von Covid-19 wurden durch Behörden flächendeckend Hygienemaßnahmen ergriffen und die Möglichkeit zu social distancing geschaffen. Die eindeutige Ausnahme bilden dabei die Camps für Geflüchtete in Griechenland. Als das Camp von Moria im September 2020 in Flammen aufging lebten dort über 12.000 Personen – viermal so viele, wie offiziell vorgesehen. Aber auch in anderen, weniger bekannten Camps gibt es keinerlei Möglichkeit, soziale Distanz zu wahren und sich und seine Nächsten zu schützen. Mehr noch: Im Falle von Corona-Ausbrüchen werden gesunde Bewohnerinnen und Bewohner des Camps gezwungen, mit positiv getesteten Personen in einem Container wohnen zu bleiben bis all deren Symptome abgeklungen sind. Masken, Desinfektions- und Reinigungsartikel werden den gesunden Menschen, die sich ein Badezimmer, einen Schlafsaal und eine Küche mit den infizierten Personen teilen müssen, nicht zur Verfügung gestellt. Und obwohl in solchen Fällen niemand den Container verlassen darf, wird selbst die Versorgung mit Lebensmitteln von den zuständigen Behörden und großen internationalen Organisationen nur unzureichend geleistet. 

Während Griechenland im Juni zum zweiten Mal im Laufe dieser Pandemie seine Grenzen, seine Restaurants und seine Geschäfte für Sommertouristen geöffnet hat, verbleiben viele Flüchtlingscamps in einem andauernden Lockdown, einer kompletten Ausgangssperre also, welche die Camps unter dem Vorwand von Corona-Maßnahmen in Gefängnisse verwandelt hat. Wir fragen also: Wieso sind in Europa, auf einem der reichsten Kontinente weltweit, Menschen unter widrigsten Bedingungen in Camps untergebracht? Und fordern damit die Evakuierung aller Camps und eine würdigere, selbst-bestimmtere Unterbringung!

Mangel an Integrationsmaßnahmen und Perspektiven

Menschen, die nach dem 19. März 2016 Griechenland erreicht haben, haben keine Möglichkeit mehr, in einem anderen europäischen Land als Griechenland Asyl zu beantragen. In Griechenland jedoch sehen sich die meisten Asylsuchenden vor der Perspektivlosigkeit. Selbst für Griechinnen und Griechen liegt die Quote der Arbeitslosigkeit für die Altersgruppe der 18 bis 24jährigen bei 35% – damit ist Griechenland das Land Europas mit der zweithöchsten Jugendarbeitslosigkeit. Die wirtschaftliche Lage, aber auch der vollkommene Mangel an Integrationsmaßnahmen wie Sprachkursen oder die lückenhafte Einbindung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in formale Bildung erschweren es Menschen, hier Fuß zu fassen und sich während der Jahre des Wartens, im legalen Limbo, ein unabhängiges Leben aufzubauen. Sobald sie ihren Asylentscheid erhalten haben und dieser positiv ausfällt, bleiben ihnen nach neuster Gesetzgebung gerade einmal vier Wochen, um eine eigene Wohnung zu finden, aus dem Camp auszuziehen und ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. In einem Kontext, in dem sie über Jahre hinweg ausgegrenzt und von Möglichkeiten ausgeschlossen wurden, stellt dies eine absolut unrealistische Anforderung dar. In der Konsequenz sehen sich viele Menschen in die Wohnungslosigkeit gezwungen. Um dieser Situation zu entgehen, machen sich viele Menschen auf den Weg in andere europäische Länder, um dort erneut Asyl zu beantragen. In den letzten Jahren haben es andere europäische Länder, darunter beispielsweise Deutschland, zu verschiedenen Zeitpunkten abgelehnt, die Ankommenden zurück nach Griechenland zu schicken, da die Bedingungen dort als unzumutbar eingestuft wurden.

 Wir fordern, die Europäische Union und alle einzelnen Mitgliedsländer der Staatengemeinschaft auf, ihre Verantwortung wahrzunehmen und schutz-suchenden Menschen eine würdige Unterbringung, ein faires Asylverfahren und eine Perspektive zu ermöglichen!

Wir sind überzeugt: Neu ankommende Menschen sind eine Bereicherung für unsere Gesellschaften, wenn es Strukturen gibt, die dies ermöglichen. Die wichtigste Grundhaltung in Habibi.Works ist die Annahme, dass jede Person die Expertin oder der Experte ihres eigenen Lebens ist. Menschen, die in Flüchtlingscamps wohnen, wissen selbst am besten, woran es ihnen fehlt und wie die idealen Lösungen auszusehen haben. Was ihnen die Umsetzungen ihrer Ideen erschwert ist der fehlende Zugang zu Räumen, Materialien, Ausrüstung und Unterstützung. Genau hier setzt Habibi.Works an. In 2016 wurden in 11 verschiedenen Werkstättenbereichen Strukturen geschaffen, die darauf abzielen, dass Menschen wieder Gestaltungsfreiheit und Selbstbestimmung in ihrem Alltag generieren können. Die offenen Werkstätten sind darüber hinaus ein Ort für Austausch und Zusammenarbeit, in dem nicht nur zahlreiche Objekte, sondern auch Gemeinschaft, Vertrauen und Selbstbewusstsein entstehen.

Wir fordern…

…dass Menschenrechte unverhandelbar sind und von der Europäischen Union bedingungslos für alle eingehalten werden!

…dass Europa die Ideale von Menschlichkeit und die demokratischen Werte, die unser Selbstverständnis ausmachen, auch an den Außengrenze in die Realität umsetzt!

…dass geflüchtete Menschen wertschätzend und wie Menschen behandelt werden!

…dass Menschen angehört und mit einbezogen werden, wenn es um Entscheidungen geht, die sie betreffen!

dass alle Camps evakuiert werden und eine würdige, selbstbestimmte Unterbringung ermöglicht wird!

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