Das Soup and Socks Team ist seit nunmehr 12 Tagen wieder in der Heimat.
Da wir alle verbliebenen Nahrungsmittel, sowie eure Kleider- und sonstige Materialspenden an andere Hilfsinitiativen in Athen übergeben hatten, verlief das Entladen unserer Transporter schnell und reibungslos. Langsamer und schwieriger gestaltet sich unsere Eingewöhnung an den Alltag: das nächste Filmset, die wichtige Studienarbeit oder das nächste Kapitel der Doktorarbeit, der Job in der Küche oder im Büro – alle im Team haben große Aufgaben vor sich, die unsere volle Aufmerksamkeit benötigen.
Es klingt pathetisch, aber in Gedanken sind wir dennoch ständig bei den flüchtenden Menschen, in Athen und entlang der Balkan Route. Wir hinterließen zu viele ungeklärte Fragen, zu viele Menschen, für die es keinen Weg vor oder zurück gibt.
Unsere Wirkungsstätten: Der Victoria und Omonoia Square
Die große Menge an Eindrücken sinnvoll zu verarbeiten fällt nicht leicht. Oft haben es nur die oberflächlichen und positiven Eindrücke der ersten Tageshälfte in unsere Berichterstattung auf Facebook geschafft. Sobald es in Richtung Mittag ging, drehte sich alles nur noch um die Essensausgabe. Kaum zurück von dem Mittagsservice, wurde das Auto erneut beladen und das ganze Team machte sich bereit für das Abendessen. Durch die angeschlossene Kleidungsausgabe und die hereinbrechende Nacht wurden die Abende in der Regel lang und die Probleme der Menschen drängender. Kaum Zeit für eine ausführliche Berichterstattung, keine Möglichkeit die Situation schnell mal fotografisch festzuhalten, und gleichzeitig die Privatsphäre der Betroffenen zu wahren.
Wir haben uns nicht weggeduckt oder auf den Plätzen hinter unseren Suppentöpfen versteckt, sondern zugehört und im Rahmen unserer Möglichkeiten geholfen wo es ging. Wir wollen an dieser Stelle eine Geschichte erzählen, die stellvertretend für die vielen ungelösten Probleme der Menschen steht.
Gute und schlechte Flüchtlinge
Mitte November schickte Slowenien eine Gruppe Marokkaner nach Kroatien zurück, unter der Angabe, dass es sich um Wirtschaftsflüchtlinge handelt. Kurzum hieß es, dass man ab jetzt nur noch Flüchtlinge aus offensichtlichen Kriegsgebieten passieren lassen würde, nämlich aus Syrien, dem Irak und Afghanistan (kurz: SIA). Dies löste bei allen vorgelagerten Transitländern auf der Balkanroute, also Kroatien, Serbien und Mazedonien, reflexartig die gleiche Haltung aus. Wer hier nicht schnell agiert, läuft Gefahr alle Zurückgewiesenen aus dem jeweils nachgelagerten Transit- oder Zielland in seiner Verantwortung zu haben. Bei neuen Maßnahmen entsteht so immer eine Kettenreaktion vom europäischen Nordwesten runter in den Südosten bis nach Griechenland.
Das Problem an diesem Vorgehen, ist die hohe Dynamik mit der sich kleine, vielleicht auch unbedachte, Entscheidungen an einer Grenze innerhalb eines Tages auf die ganze Flüchtlingsroute auswirken und die traurige Einsicht, dass am Ende immer die Ankunftsländer, also aus europäischer Sicht hauptsächlich Griechenland und Italien das Nachsehen haben werden. Sie können eben nicht neue Verordnungen am Grenzposten erlassen, sondern müssen einerseits damit leben, dass sich ihre Küsten nie vollständig kontrollieren lassen werden. Und noch wichtiger, dass die vorgelagerten Länder in der Kette, in der Regel nicht als sichere Herkunftsländer definiert werden können. Somit stellen sich auch zusätzlich moralische Fragen, die dem Asylgedanken an sich zuwider laufen.
Die große Mehrzahl der Flüchtenden auf unseren beiden Plätzen gehörten zu den „non-SIA“ Nationalitäten, es handelte sich also nicht um Syrer, Iraker oder Afghanen. Wir trafen viele Marokkaner, Algerier, Libanesen und Iraner. Seltener Tunesier, Pakistaner oder Sudanesen. Athen ist somit einerseits Zwischenstation für alle Flüchtlinge, die mit einer der großen Fähren aus Richtung der Inseln (typischerweise Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos) kommen und von dort zügig weiter in Richtung der griechisch-mazedonischen Grenze aufbrechen. Anderseits aber auch Sammelbecken für alle Menschen die aufgrund ihrer Nationalität noch vor dem griechischen Grenzort Idomeni zurückgewiesen werden, und auf direktem Weg wieder nach Athen fahren müssen. Jeden Tag sammeln sich auf diese Art mehr und mehr verzweifelte Menschen im Herzen von Athen, die bereits tausende Kilometer unterwegs waren, und jetzt auf einmal in der Sackgasse stecken.
Eine iranische Familie
Nach Neujahr lernten wir eine iranische Familie kennen. Mostafa, seine Frau und seine zwei jungen Kinder aßen abends auf dem Victoria Square eine Suppe bei uns. Da abends typischerweise keine Familien mehr auf dem Platz anwesend waren, informierten wir uns wo sie unterkommen würden. Die Kommunikation verlief sehr schleppend. Einerseits gab es sprachliche Probleme, da nur Mostafa ein wenig Englisch sprechen konnte, andererseits gab es auch noch keine Vertrauensbasis, auf die man sinnvoll mit wertvollen Tipps hätte aufbauen können. Man muss sich vorstellen: Die meisten dieser Menschen wurden auf ihrem Weg schon mehrfach betrogen, belogen, verführt – in schlimmeren Fällen misshandelt oder missbraucht. Täglich versuchen Schleuser und andere Profiteure ihrer Misere ein Geschäft mit ihnen zu machen. Bei Neuankömmlingen, die uns noch gar nicht kannten, spürten wir daher des öfteren ein leichtes anfängliches Misstrauen. Suppe, kostenlos? Einfach so? Ein wirklich guter Tipp, oder doch die nächste Abzocke? Diese Fragen müssen sich die Menschen auf der Flucht täglich aufs Neue stellen.
Da wir die Familie fast jeden Abend wiedertrafen und wir nicht locker ließen, entwickelte sich bald ein erst vertrauensvolles, dann sogar sehr herzliches Verhältnis. Mithilfe von Armin, einem Deutschen, mit iranischen Wurzeln… (wie albern einem diese Beschreibungen vorkommen können, wenn man eigentlich etwas ganz anderes ausdrücken will, das rein gar nichts mit der Nationalität zu tun hat) …also nochmal: Armin, ein junger Mann, der aus purer Hilfsbereitschaft aus Düsseldorf eingeflogen war und perfekt Deutsch, Englisch und Persisch (= Farsi) sprach, kam genau zur richtigen Zeit und übersetzte wie ein Profi zwischen der iranischen Familie und unserem Team.
So erfuhren wir, dass die Familie aktuell in einer Unterkunft eines Schleusers übernachtete und täglich auf die Weiterreise hoffte. Auf die Frage aus welchem Grund die Familie ihre Heimat verlassen hatte, antwortete Mostafa umgehend und sehr ausführlich. Die Kurzfassung: Seine Frau und die beiden Kinder sind muslimisch, aber er selbst ist konvertierter Christ. Die Familie befürchtet große Probleme im Iran und hat dazu wohl auch jeden Grund: Das Strafmaß auf Apostasie, also den Abfall vom eigenen Glauben, kann bis zur Hinrichtung des Betroffenen reichen. Offensichtlich ist unter diesen Umständen im Iran weder ein sicheres noch religiös selbstbestimmtes Leben möglich.
Sackgasse Athen
Trotz junger Kinder, und den laut Pro Asyl gegebenen Voraussetzungen für ein Asyl in Deutschland, gibt es keinen legalen, geschweige denn sicheren Weg, um genau dies zu bitten. Den leider viel zu oft tödlichen Seeweg über die Ägäis hatten sie zum Glück geschafft, aber der Versuch zu Fuß illegal nach Mazedonien zu laufen schlug bisher einmal fehl. Die Bedenken waren dem Familienvater regelrecht ins Gesicht geschrieben, wenn man ihn auf den bevorstehenden nächsten Versuch ansprach. Seine Frau hat durch die Strapazen der bisherigen Flucht große Probleme mit ihrem Rücken, die Kleinen können unmöglich bei widrigen Bedingungen stundenlang durch den Wald laufen und er muss das Ganze doch irgendwie ermöglichen, wenn er seine Familie langfristig in Sicherheit bringen will.
Sackgasse. Endstation Athen. Nahezu alle Menschen auf den beiden Plätzen teilen das Schicksal der iranischen Familie. Die Fluchtgründe mögen sich unterscheiden: die falsche Religion, individuelle und/oder politische Verfolgung, bewaffnete Konflikte (außerhalb der drei SIA Länder), Repression und Ja, natürlich auch wirtschaftliche Perspektivlosigkeit. Aber das Verlangen aller, ihre Zukunft als Mensch zu sichern, frei leben und arbeiten zu können ist das gleiche. Und so versuchen sie es jeden Tag aufs Neue, einen Weg nach Westeuropa zu finden. Wir trafen junge Algerier, die bereits fünf mal ihr Glück an der mazedonischen Grenze versucht hatten. Und sie werden es wieder versuchen.
Alles was wir tun können von hier, ist zu berichten – über die Missstände in Athen und auf der restlichen Route. Und wir müssen darum bitten, bei aller Wut und Verwirrung zu den Vorfällen um Neujahr, einen kühlen Kopf zu bewahren. Den wird es brauchen, um die humanitären Probleme der nächsten Jahre nachhaltig in den Griff zu bekommen. Es braucht keine einfachen Lösungen, keine Angstmacherei und nichts Extremes.
Wir brauchen jetzt eine starke Gesellschaft – mit klaren Köpfen, offenen Herzen und etwas Zeit sich selbst aktiv einzubringen.
Bis bald auf weitere Erinnerungen von der ersten Tour und neuen Plänen für die Zukunft!
Florian & das gesamte #SaS-Team
PS: Wer sich nun fragt, warum die Menschen nicht einfach Asyl in Griechenland beantragen, dem empfehlen wir die Lektüre des hier verlinkten Pro Asyl Berichts von gestern.